Radiohead / Köln / 15.10.2012
Kaum eine andere Band hat in ihrer Karriere einen derartigen musikalischen Wandel vollzogen wie Radiohead: Vom Alternative Rock der frühen Jahre ist kaum etwas übrig geblieben. Stattdessen haben sich die fünf Briten in ihrer Musik aller gewohnten Songstrukturen entsagt und rücksichtslos Genre-Grenzen aufgelöst. Was da beim Konzert in der Kölner Lanxess-Arena aus den Boxen wummert, zirpt und quietscht, ist nichts für zwischendurch. Zeit ist gefragt. Rund zweieinhalb Stunden, um genau zu sein. Das reicht für das Bild einer beeindruckenden Verschmelzung von Klängen und Lichtern. Und für die Gewissheit, weit mehr erlebt zu haben, als ein gewöhnliches Konzert.
11.000 Zuhörer in der Arena empfangen die britischen Musiker stürmisch. Der Stilwechsel zur Stilfreiheit ist dem Oxford-Quintett um Sänger Thom Yorke schon vor Jahren gelungen. Wer mit „Pablo Honey“ aufgewachsen ist, wird diesen Radiohead nicht sonderlich viel abgewinnen können. Zuhören, wirken lassen, hineinfinden – das lohnt sich dennoch. Sphärische Melodien vereinen sich mit elegischem Gesang. Dazwischen brettert ein knallharter Gitarrenausbruch, wummern dumpfe Beats und Bässe in treibenden Rhythmen. Dubstep trifft auf Avantgarde, Art-Rock auf fast schon technohafte Elemente. Gitarren und Synthesizer ringen miteinander. Wild zuckende Lichter und Effekte auf den Videoleinwänden, die wie an Marionettenfäden bedrohlich über der Bühne schweben und sich bewegen, umhüllen das Spektakel.
Zwischen all dem wirkt der schmächtige Frontmann und Sänger Thom Yorke mit ergrautem Bart und Stoppelzopf zunächst ein wenig verloren, wird aber schnell eins mit seiner Kunst. Bei „The Gloaming“, das gewollt in diffusem Geräusch-Radiohead zelebrieren Stilfreiheit in Köln salat mündet, gibt sich der 44-Jährige einem wilden Tanz hin, die geheimnisvollen Klänge von „Separator“ gestaltet er mit hypnotischem Gesang, ehe die Nummer in soulige Gefilde abdriftet und ebenso träumerisch dahinplätschert wie „Reckoner“ im Anschluss. Das wird mit oldschooligem Hip-Hop-Beat eingeleitet und entspannt sich im Rasseln eines Tamburins. Bei „Pyramid Song“ sitzt Yorke im blauen Licht der Bühne am Klavier. Bedrohlich steigert sich das Stück, zur erwarteten Explosion allerdings kommt es nicht.
Den meisten Applaus heimst verdientermaßen das wunderschöne „Nude“ ein, das an die Filmmusik Ennio Morricones erinnert. Ebenfalls hoch in der Gunst des Publikums steht der Song „Lotus Flower“, bei dem Yorke, ausgestattet mit Maracas und glasklarer, frauengleicher Stimme, den Gegenpol zur harten Rocknummer bildet. Fleißig getrommelt wird in „There There“. „Feral“ ist elektronisch verspielt, „Myxomatosis“ ein dichtes Soundgewitter. Im Gegensatz dazu startet „Paranoid Android“ mit Akustikgitarre und entwickelt sich zum abwechselnden Spiel von Rambazamba und melancholischer Trägheit.
Geredet wird nicht viel. „The Daily Mail“, den Protestsong gegen die Presse in England, die „Menschen mit Scheiße bewirft und sich erlaubt, einfach Urteile über einen zu fällen“, kündigt Yorke mit wenigen Worten an, und auch von Tony Blair und George W. Bush hat der Sänger seine Meinung. Ansonsten lässt er lieber die Textzeilen sprechen. Dreimal kommen die Musiker für Zugaben in die Halle zurück. Eines der Stücke, das sie den Fans im Nachgang servieren, ist „Ful Stop“, ein psychedelischer Rausch aus bunten Farben, flackernden Lichtern und sogar begleitet von einem Meer klatschender Hände – als wäre das ein gewöhnliches Konzert.