Westernhagen / Köln / 6.4.2014
„Alphatier“ – das ist mal eine Ansage. Auch wenn Marius Müller-Westernhagen darauf besteht, dass ihm dieser Stempel immer nur von außen aufgedrückt wurde, spiegelt der Titel seines neuen Albums auch sein Eigenverständnis im Musik-Business wider: Rund fünf Jahre nach dem letzten musikalischen Lebenszeichen beweist der 65-Jährige, dass er immer noch nach ganz vorne gehört.
Die neue Platte soll am 25. April in den Läden stehen. Zuvor ist Westernhagen live unterwegs und stellt die Songs quer durch Deutschland in kleinen Clubs im Rahmen einer Prelistening-Tour vor. Nach Hamburg und Hannover ist der gebürtige Düsseldorfer im Kölner E-Werk zu Gast.
Dass Westernhagen sich mit Album Nummer 19 nicht neu erfindet, wird schnell klar. Trends gehen an ihm vorüber, ohne dass er scheinbar Kenntnis davon nimmt. Stattdessen gibt es viel klassischen Rock n‘ Roll, aber ebenso viele ruhige Momente. Die Scheibe hätte gut und gerne auch in den 80ern entstanden sein können.
„Oh Herr“ beginnt als schleppende Ballade. Unterstützt wird Westernhagen von Background-Sängerin Lindiwe Suttle, seiner neuen Lebenspartnerin. „Ich bin noch nicht soweit!“ ruft er den Allmächtigen an, während die beiden händchenhaltend am Bühnenrand stehen. Sie sei die Seele und Inspiration der Platte gewesen, lobt Westernhagen die Sängerin.
„Clown“, das Westernhagen bereits im vergangenen Jahr bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises vorgestellt hat, kommt als Rock-Nummer daher. Die Fans sind trunken vor Freude. „Oh, wie ist das schön“ schallt es schon nach wenigen Minuten durch die ausverkaufte Halle. Und Westernhagen freut sich: „Ich habe noch nie erlebt, dass eine neue Platte so gefeiert wurde, ohne sie zu kennen.“
Bei „Engel, ich weiß…“ mit tollem Orgel-Solo von Jeff Young klingt der staubige Westen der USA mit, bei „Verzeih“ greift Westernhagen selbst zur Gitarre. Die bluesige Nummer steigert sich im Verlauf und explodiert zum Schluss. Westernhagen röhrt und schreit ins Mikro.
„Was ich will“ steht ganz in der Tradition von „Sexy“. Im ganz eigenen stelzenhaften Gang tänzelt Westernhagen mit seiner Liebeserklärung über die Bühne, während die beiden Gitarristen Kevin Bents und Brad Rice sowie Bassist John Conte in Status-Quo-Manier ihre Instrumente in synchroner Formation bedienen. „Liebeslied“, eines der besten neuen Stücke, schraubt das Tempo wieder runter und kommt als schwerer Bluesbrocken daher, den Westernhagen mit ordentlich Vibrato in der Stimme vorträgt.
„Keine Macht“ sei von der Bankenkrise inspiriert worden, erklärt der Sänger. „Es handelt von der Gier, die herrscht. Alles wird über Geld und Erfolg definiert. Was zählt, ist Musik und Liebe.“ Also schreit der 65-Jährige seinen Protest in die Welt hinaus, findet dabei aber noch genügend Zeit, mit dem Rücken zum Publikum mit dem Hintern zu wackeln und väterliche Küsse auf den Stirnen seiner Gitarristen zu verteilen.
Ein umtriebiger Mensch ist er, dieser Marius Müller-Westernhagen. Er kann nicht stillstehen, weiß manchmal gar nicht wohin mit seiner Energie. Auch nicht im durch und durch radiotauglichen „Halt mich noch einmal“, das zum Schunkeln animiert. Die Fans dürfen auch mitmachen: „Oh-oh-oh“ schallt es aus vollen Kehlen. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was ihr uns heute gebt!“ zeigt sich Westernhagen überwältigt.
„Wahre Liebe“ ist der Feuerzeugsong der neuen Platte. „Das Schicksal hat Roulette mit mir gespielt“, singt er darin, und man glaubt, ein autobiografisches Lüftchen zu verspüren. Ein heißer Kandidat für die nächste Kuschelrock-CD.
Zwölf Songs ist „Alphatier“ insgesamt lang. Dazu gibt es noch zwei Bonustracks, die Westernhagen und Band den Fans natürlich auch nicht vorenthalten. In der Zeit zurück geht es schließlich bei den Zugaben. Nach einem kurzen Ausflug in die Garderobe, gibt es Schlag auf Schlag „Willenlos“, „Taximann“, „Sexy“, „Mit 18“ und „Johnny W.“ Und auch der Letzte merkt, dass „Alphatier“ eine durchaus treffliche Bezeichnung für den Sänger ist.