Helene Fischer / Oberhausen / 30.9.2014
OBERHAUSEN – „Marathon“ heißt einer der mehr als 30 Songs, die Helene Fischer beim ersten von zwei Auftritten im Rahmen ihrer „Farbenspiel“-Tour in Oberhausen auf der Setlist stehen hat. Auch wenn es darin nicht um den Lauf über eine durchaus sportliche Entfernung geht, steht der Titel programmatisch für das Konzert: Denn eine Menge Stehvermögen müssen die Fans in der ausverkauften Halle schon mitbringen. Mit rund zweieinhalb Stunden Nettospielzeit hält die 30-Jährige das Publikum auf Trab. Aber, es lohnt sich.
Von Schlagermusik, auch wenn sie einen deutlichen Einschlag in Richtung Pop mitbringt, mag man halten, was man will. Die Texte sind leicht verdaulich, die Kompositionen ebenso. Doch, was Helene Fischer daraus strickt, ist verblüffend und trifft offensichtlich den Nerv der Zeit. Nicht nur, dass die komplett bestuhlte Arena bereits frühzeitig Kopf steht und sich anfangs noch gefasste Zuhörer innerhalb kürzester Zeit in frenetischem Ausdruckstanz verlieren. Auch außerhalb der schallisolierten Tore zum Innenbereich lässt sich der Erfolg der in Sibirien geborenen Sängerin ablesen.
Am Merchandise-Stand geht das Sortiment weit über die üblichen T-Shirts und CDs hinaus. Da liegen Schlüsselanhänger herum, werden Stifte feilgeboten und allerhand anderer Schnickschnack an den Fan gebracht. Um die Ecke ist sogar ein Tisch aufgebaut, an dem sich das Helene-Fischer-Parfüm käuflich erwerben lässt. Zwischendurch gibt es eine geschlagene halbe Stunde Pause, da lässt sich ausgiebig stöbern und den Geldbeutel erleichtern.
Die Marketing-Maschinerie läuft auf Hochtouren, die sympathische Sängerin ist gern gesehener Gast auf Verkaufsverpackungen, in Werbespots und als Dauergast bei Borg, Nebel und Co. Dass dahinter auch künstlerische Substanz steckt, wissen die eingefleischten Fans schon lange. Gesangstechnisch ist Helene Fischer nicht nur an diesem Abend immer auf dem Punkt und showmäßig auf einer Höhe mit internationalen Entertainment-Größen wie Beyonce, Rihanna und Konsorten. Da gibt es nichts.
Zahlreiche Kostümwechsel gehören natürlich dazu, Feuerfontänen schießen in die Luft, elf Tänzer tummeln sich auf der imposanten Bühne mit halbrundem Laufsteg, und auch 18 Musiker finden dort Platz. Zwischendurch torkeln Stelzentänzer umher, robben headbangende Schneehasen über den Boden. Es gibt Hebefiguren, Tanz-Choreographien und ein wunderbares, sich immer veränderndes Bühnenbild. Am Ende fliegt die Sängerin auf dem Rücken eines überdimensionalen und toll designten Pfaus – eindrucksvoll, wenn auch mit einer gehörigen Portion Kitsch versehen – an Stahlseilen befestigt über die Köpfe ihrer Fans hinweg.
So abwechslungsreich wie die Bühnenshow zeigt sich auch die musikalische Zusammenstellung des Konzerts. Neben typischen Schlagekompositionen wie etwa „Mit keinem Andern“ oder „Die Hölle morgen früh“, die förmlich zum Mitklatschen zwingen, wird in „Nur wer den Wahnsinn liebt“ der Blues gespielt und der Pseudo-Sirtaki in „Wunder dich nicht“ getanzt. „Lass jetzt los“ aus dem Disney-Film „Die Eiskönigin“ könnte aus einem Musical stammen, ähnlich wie „Vergeben, vergessen und wieder vertrau’n“, das im Verlauf zu einem ordentlichen Rocker wird. „Der Augenblick“ hat mit seiner sehnsuchtsvollen Violine etwas von einem James-Bond-Titelsong, während „Ich will immer wieder dieses Fieber spüren“ mit Eurodance-Anleihen kokettiert.
Dass Helene Fischer – mal in ein Barbra-Streisand-Paillettenkleid gehüllt, mal als Amazone in Lederkluft oder im apricotfarbenen Federkostüm – über den musikalisch auf sie zugeschnittenen Tellerrand hinwegsieht, zeigt sich auch in den zahlreichen Coversongs, die sie ins Programm einstreut. Los geht es mit der dramatischen Rock-Nummer „Bring Me to Life“ der Band Evanescence aus dem Jahr 2003. Weiter in der Zeit zurück springt die blonde Künstlerin bei einem Rock-Medley, das unter anderem Van Halens „Jump“ umfasst, „Livin‘ on a Prayer“ von Bon Jovi oder etwa „I Love Rock n‘ Roll“ von Joan Jett and the Blackhearts. Bei „Purple Rain“ geht ein großes Raunen durch die Tribünenreihen, und es regnet lila Lametta von der Decke.
Auf „Atemlos durch die Nacht“ warten die Fans bis zum Schluss. Mit unerwartet ruhigen Klängen startet das Lied. „Lasst euch einfach darauf ein“, wünscht sich Helene Fischer. Dem Publikum gefällt’s. Es singt inbrünstig mit, den Text kennt jeder. Dann fährt das Tempo hoch. Die Arena wird zur Disco. Und das Glück ist für 10.000 Fans komplett.